Heimtückische Kreispolizei des Kreises Gütersloh, gewaltbereites Gesindel und die K-Frage seit 1914:

Ein verlogener Rechtsanwalt, das Land des 'doppelten Spiels', zweier Weltkriege und die gleiche Frage:

Der Krug geht so lange zu Wasser bis er bricht, oder: Es kann nur ein Land auf der

Welt geben, das solche Seilschaften (den Zustand gewisser Parteien) so viele Jahre erträgt

Kapitel 2: Oktober- und Novemberrevolutionen 1917 im russischen, dann Ende November 1918 im deutschen Reich, dann auf dem Weg in den Nationalsozialismus

(Artikel vom 18. September 2008)







1. Weltkrieg - neue Dimension des Krieges

Die Mittelmächte des 1. Weltkriegs Deutschland und Österreich-Ungarn waren zwei überlebte Kaiserreiche im Industriezeitalter, d.h. zwei Operettenregime aber in jeder Beziehung gewaltbereit und hochgerüstet mit Maschinengewehren, Panzerkreuzern, modernster Artillerie, Giftgas etc. Nachdem dieser Weltkrieg daher in seiner ersten Phase keine schnelle Entscheidung auf rein militärischer Ebene (die bzw. deren politische Resultate zugunsten Deutschlands und Österreich-Ungarns nie hätten von Dauer sein können) gebracht hatte, vielmehr zum Stellungskrieg mit industriell gefertigter Bewaffnung geworden war, wurde absehbar, daß und inwiefern Bevölkerungszahl und Ressourcen, industrieller und technischer Entwicklungsstand und der Entwicklungsgrad der sozialen Antagonismen im Innern der beteiligten Länder die Entscheidung herbeiführen mußten. Etwas genaueres Hinsehen und der Rückblick insbesondere auf den Bürgerkrieg in den USA von 1861-65 hätte Illusionen beseitigt.

Der Krieg als Ursache der Revolutionen, zunächst 1917

Infolge des Krieges seit 1914 (an seiner Westfront gegen Deutschland und Österreich-Ungarn) erlebte Rußland eine schwere Wirtschaftskrise. Militärische Niederlagen mit ihren Opfern, Gebietsverluste, dramatisch zunehmende Versorgungsprobleme (inkl. Brennstoffmangel in langen, kalten Wintern) führten zum Wiederaufflammen von Streiks der Vorkriegszeit und zusammen mit Hungerrevolten und Demonstrationen zu einem regelrechten Flächenbrand, den die Zarenherrschaft trotz ihrer Gewaltmittel im Innern nicht mehr eindämmen konnte. In der Februarrevolution (bzw. März) 1917 konzentrierten sich die Forderungen der Volksbewegung (Arbeiter- und Soldatenfrauen, Arbeiterkomitees) in Petrograd auf eine sofortige Beendigung des Krieges, Herausgabe von Lebensmitteln und die sofortige Abdankung des Zaren. Am 3. März (15. März) endet die 300-jährige Herrschaft der Romanov-Dynastie. Es entstand ein Nebeneinander von Arbeiter- und Soldatenräten (Sowjets, in Anknüpfung an die Selbstorganisation der Arbeiter in der niedergeschlagenen Revolution von 1905) und Parlament (Duma). Die von der Duma eingesetzte provisorische Regierung (Lwow und ab Sommer Kerenski) vermochte weder die Versorgung der Menschen sicherzustellen, noch die Wirtschaftskrise und den Krieg zu beenden. Eine Wirtschaftspolitik, die auf die Marktkräfte setzte, erwies sich unter den Bedingungen von Krieg und dadurch fortdauernder Wirtschaftskrise mit Inflation etc. als untauglich.



Oktoberrevolution 1917 in Rußland

Die Anforderungen des langdauernden und von der Schaffung industrieller Rüstungsproduktion abhängigen Krieges überstiegen die Kräfte des Landes. Die Beendigung des Kriegs wurde unumgänglich und doch durch die neuen Regierungen verweigert. Die SDAPR (B), die Bolschewiki erhielten daher mehr und mehr Zustimmung zu ihrer konsequenten Politik gegen den Krieg und beherrschten schließlich die wichtigsten Sowjets in Petrograd, Moskau und den anderen großen Arbeiterstädten. "Nachdem die Bolschewiki in den Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten beider Hauptstädte die Mehrheit erhalten haben, können und müssen sie die Staatsmacht in die Hände nehmen." (Lenin in seinem Brief an das Zentralkomitee und an das Petrograder und Moskauer Komitee der SDAPR vom 12.-14.09.1917, Lenin Werke Bd. 26, S. 1.) Leo Trotzki wurde Vorsitzender des Petrograder Sowjet und Organisator der Absetzung der Kerenski-Regierung im Oktober (November) 1917. Diese Absetzung fiel - nicht zufällig - zeitlich zusammen mit der Tagung des 2. Allrussischen Sowjetkongresses, in welchem die Bolschewiki mit 390 von 649 Delegierten die Mehrheit besaßen.

Aus den Broschüren, Zeitungsartikeln, Briefen und Aufzeichnungen Lenins der fraglichen Wochen und Monate geht klar hervor, daß, warum und auf welche Weise er die Revolution leitete. Er war derjenige in der SDAPR, der das weitestgehende Verständnis der geschichtlichen Bewegung seiner Zeit entwickelt hatte, die Situationen in ihren Zusammenhängen genau und schnell erfaßte und - je nach Adressat - klar und mehr oder weniger ausführlich darstellen konnte. Seinen Fähigkeiten, der langjährigen wissenschaftlichen bzw. publizistischen Arbeit, seiner Erfahrung, seiner Disziplin etc. verdankte die Revolution an allen entscheidenden Stationen ihren Erfolg.

2. Gesamtrussischer Kongreß der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten

Der größte Teil der Delegierten des 2. Allrussischen Sowjetkongresses stammte aus den großen Industrieregionen und den politischen Zentren des Landes. Es waren Vertreter fast aller Nationalitäten und Regionen anwesend. In einem Schreiben "An die Arbeiter, Soldaten und Bauern" wurde die Machtübernahme juristisch fixiert. Ein "Rat der Volkskommissare" (als neue Regierung) wurde gebildet, die "Sozialistische Sowjetrepublik" proklamiert und erste Dekrete angenommen: Das Dekret über einen "sofortigen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen", das "Dekret über die entschädigungslose Enteignung allen Landbesitzes in privater Hand" und das dritte Dekret über die schon erwähnte Einsetzung des Rats der Volkskommissare unter Lenin, dem u.a. Trotzki für die Außenbeziehungen und Stalin für Nationalitätenfragen angehörten.

Dekret über den Frieden

Das Dekret über den Frieden ist das erste Dekret. Es wird einstimmig angenommen und am gleichen Tag in der "Iswestija" veröffentlicht. Es enthält Forderungen zur sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen an alle kriegführenden Länder und verurteilt geheime internationale Abmachungen und Verträge. Lenin beschreibt darin seine Vorstellung vom neuen proletarischen Internationalismus, welcher die gleichen Rechte für alle Völker und Achtung der Unabhängigkeit von allen Völkern und Regierungen vorsieht. Als Sofortmaßnahme schlägt das Dekret einen Waffenstillstand für drei Monate vor.

Das Dekret gilt als erstes von einem staatlichen Organ verfaßtes Dokument überhaupt, welches Krieg als Mittel zur Lösung von Konflikten verurteilt. Die am 1. Weltkrieg beteiligten Staaten waren (und sind es immer noch, weil der Gegenstand und das historische Dekret eine Stellungnahme fordert) zur Antwort an die neue russische Regierung aufgerufen, insbesondere Deutschland, dessen SPD 1914 den Krieg unter dem Vorwand des Kampfes gegen den russischen Despotismus propagiert hatte.

SDAPR und Sozialismus

Am 15. November folgt eine "Deklaration der Rechte der Völker Rußlands", in der allen Nationen im ehemaligen Zarenreich das volle Selbstbestimmungsrecht zugestanden wird. Weitere Dekrete verfügen die Trennung von Staat und Kirche, die Aufhebung der Pressefreiheit (angesichts einer sofort aktiv gewordenen Konterrevolution) sowie die Verstaatlichung von Banken und Industrie.

In dem Geschehen der russischen Oktoberrevolution ist die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands (SDAPR - Bolschewiki) die konzeptionell planende, zusammenfassende und leitende Organisation, im Zusammenwirken mit den Sowjets. Lenin selbst stellt sich den Vorgang der Ablösung der unfreien Arbeit als Herstellung einer umfassenden praktischen Kontrolle und Rechnungsführung durch das gesamte Volk vor. "Eine der wichtigsten Aufgaben, wenn nicht die wichtigste, besteht jetzt darin, diese selbständige Initiative der Arbeiter und überhaupt aller Werktätigen und Ausgebeuteten bei der schöpferischen organisatorischen Arbeit in möglichst breitem Umfang zu entwickeln." Zitiert aus: Wie soll man den Wettbewerb organisieren? (Dezember 1917, Lenin Werke Band 26, S. 407) Selbstverständlich ist heute - nach der Selbstauflösung der UdSSR 1991 - offenkundig und unbestreitbar, daß der russische Weg zum Sozialismus ein Weg des Scheiterns im Land selbst war.

Separatfrieden, Bürgerkrieg in Rußland und die Revolutionen seit 1789

Mehr als 90 Jahre nach dieser russischen Revolution von 1917 für einen sofortigen Frieden, welche - international alleingelassen - immerhin zu einem Separatfrieden im März 1918 führt, welche gesellschaftliche Umgestaltungen mit der Absicht, Kriegsursachen, Ausbeutung, Unterdrückung und Elend zu beseitigen, in Angriff nimmt und experimentiert, auch hier international allein bleibt und sich vielmehr einer brutalen Konterrevolution und internationalen Intervention gegenübersieht, welche mit dem Anschlag auf Lenin vom 30. August 1918 (gestorben im Januar 1924) ihren Kopf und Leiter verliert und dann aus Terror und Diktatur nicht mehr herausfindet, haben sich die Bedingungen, unter denen wir unsere Geschichte machen, verändert. Gleichwohl ist mit aller Schärfe zu kritisieren, daß auch Lenin im Strudel der Ereignisse und des Bürgerkriegs Terrormaßnahmen befürwortet und als politisches Mittel einsetzt. Das Vorgehen der Konterrevolution, deren Brutalität und Grausamkeit zeigt folgende Äußerung des zaristischen Generals Lawr.G. Kornilow: "Selbst wenn wir halb Rußland niederbrennen und das Blut von drei Vierteln der Bevölkerung vergießen müssen, wir werden es tun, wenn es zu Rußlands Rettung notwendig sein sollte." Zitiert nach Orlando Figes "Die Tragödie eines Volkes", Berlin 1998 S. 593 (Wikipedia, General Kornilow).

Die besondere Rolle der SDAPR in der russischen Revolution ist unzweifelhaft Ergebnis der eigentümlichen Bedingungen des despotischen russischen, alten Staates und seiner Traditionen. Die Unterdrückung und Verfolgung jeder Opposition im Zarenstaat machte besondere organisatorische Anstrengungen auf der Seite der Opposition erforderlich. In seiner Schrift "Was tun?" aus dem Jahre 1902 entwickelte Lenin die Konzeption einer "Partei neuen Typs", die nach erfolgreicher Oktoberrevolution 1917, nach dem Sieg im Bürgerkrieg und nach der Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) 1922 im entstandenen Einparteienstaat die alles beherrschende politische Organisation war und blieb, auf internationaler Bühne zum Vorbild verklärt und mit zunehmend verknöchernder Parteiideologie unter Berufung auf einen nicht verstandenen Karl Marx. Lenin hatte die Wissenschaft, das System der Kritik der Politischen Ökonomie noch sorgfältig studiert, auch wenn seine Rezeption und der Versuch einer Weiterentwicklung ungenügend blieb.

Hätte die Französische Revolution 1789 nicht geschehen dürfen, hätte sie verhindert werden müssen, weil sie - etwas mehr als 1800 Jahre nach dem Beginn der römischen Kaiserzeit - mit einem Kaiser Napoleon endete?

Hätte die Russische Revolution 1917 nicht geschehen dürfen, hätte sie verhindert werden müssen, weil parallel mit dem Ausscheiden Rußlands aus dem Weltkrieg ein Bürgerkrieg (die Befürworter des Krieges als konterrevolutionäre Partei) folgte und nach einem Attentat auf Lenin ein Staat Stalinscher Prägung entstand?

Mit der Revolution von 1917 entfiel der Umstand, der der SPD-Führung bei ihrer infamen Täuschung 1914 und ihrer Kriegstreiberei als Vorwand - Freiheitskampf gegen Despotie - gedient hatte. Die Zarendespotie verschwand. Der Chauvinismus im Deutschen Reich blieb, auch der der SPD, jetzt ohne jede Bemäntelung. Es blieb der Despotismus im eigenen Land, die brutale Herrschaft von Kaiser, Militär und Kapital unter Kriegsbedingungen, an der die Ebert-SPD auf ihre Weise mitwirkte bis zum bittersten Ende, bis zum Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, einige Wochen nach Abdankung des Kaisers und dem Kriegsende auch im Westen.

Die Revolutionen ab 1789 und vor allem die Kommune in Frankreich (die Republik in Frankreich und in Paris 1870/71 als Folge der Niederlage Napoleons III.) und deren brutale Niederschlagung durch ihre vereinigten - französischen und deutschen - Feinde hatten gezeigt, welchen Widerstand, welche Brutalität und Grausamkeit ("Blutige Woche" 1871) eine begonnene Emanzipation der arbeitenden Klassen hervorruft.

Die große französische Revolution von 1789 endete zunächst in einer Tragödie, weil sich der entstehende neue Staat, die französische Republik ab 1792, in ihrer Verteidigung, der Entstehung von Gewalt und Gegengewalt, in der Ablösung der verschiedenen Parteien der Revolution mit ihren Illusionen, Selbsttäuschungen, Irrwegen und Gewaltexzessen verselbständigte. Eine europäische Restaurationsperiode war die Folge. Russischer Zar (Despotie für ein weiteres Jahrhundert und sprichwörtlich werdendes europäisches Bollwerk) und österreichischer Kaiser triumphierten.

Das Deutsche Reich von 1871

Die Gründung des deutschen Reiches im Jahr 1871, nach den revolutionären Anläufen in mehreren europäischen Ländern von 1789 und 1848 (und deren Lehren) jetzt als Kaiserreich in einem im Krieg eroberten fremden Land (Kaiserkrönung im Januar 1871 in Versailles, Friedensschluß zwischen Frankreich und Deutschland am 10. Mai 1871), war ein mehrfacher Verrat. Verrat an den Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts seit 1789, Verrat an der Revolution in Frankreich 1870/1871 (Kommune von Paris), an der größten Hoffnung auf Emanzipation bisher, und ein Verrat an der Zukunft des deutschen Volkes, das in den kommenden Jahrzehnten einem kapitalistischen Aufschwung ohne Beispiel, mit modernsten Industrien, entwickelter Klassenbildung in einem Operettenstaat militaristisch-chauvinistischer Prägung entgegenging. Die deutsche Bourgeoisie kam nicht mehr dazu, die Republik - die für sie längst zu gefährlich geworden war - als Bedingung ihrer unbeschränkten sozialen Herrschaft zu etablieren. Der 1. Weltkrieg war die Konsequenz des deutschen Weges in die Moderne.

Der Aufbruch im 20. Jahrhundert

Die Lehre für die Arbeiterbewegung - nach dem 19. Jahrhundert - war nicht und konnte nicht sein, in erneuter Krise auf die Emanzipation der arbeitenden Klassen zu verzichten. Die Lehren aus der Vergangenheit waren (und bleiben) umfassend und schonungslos zu ziehen. Eine zu ziehende Lehre mußte sein, sich in erneuter Krise und in existentieller Bedrohung durch die Gegenseite, die für ihre Privilegien zu allen Mitteln und d.h. auch zu allen Gewaltmitteln greift, nicht überraschen zu lassen. In diesen vergangenen Auseinandersetzungen war aus der Spirale von Gewalt nicht herauszukommen. Nachträglich zu urteilen und zu raten, daß die Arbeiterbewegung auf ihre Bestrebungen besser hätte verzichten sollen, weil deren dauerhafter Erfolg sich als unmöglich erwiesen habe, ist lächerlich und zugleich infam, weil sich auf die Seite der konterrevolutionären Gewalt gestellt wird . Die Arbeiterbewegung hat in der Geschichte auf ihre Bestrebungen nicht verzichtet und sie hat ihren Lernprozeß nicht ad acta gelegt. Es bleibt - auch heute - von Bedeutung, die Gründe und Wege, die Illusionen, Fehler und Irrtümer der Revolutionen von 1917, 1918 - und folgende in Spanien, Cuba, Chile, in China, Korea, Vietnam etc., in der sog. DDR mit ihrer Gründung im "Kalten Krieg" (und 1953), in Ungarn (und 1956), in der Tschechoslowakei (und 1968), in Polen etc. - zu untersuchen und zu verstehen, die Ursachen des Scheiterns in Rußland, die Folgen des russischen Aufbruchs, die Wege andernorts und deren Zusammenhang - 2. Weltkrieg (der "Bolschewismus" als Angriffsziel und bleibender Gegner auch nach dem Krieg), nationale Befreiungsbewegungen, Entkolonialisierung etc. - zu erfassen. (Vgl. weiter unten.)

Illusionen von 1917

Die erste und entscheidende Illusion von 1917 war die Erwartung, daß die Revolution in Rußland nicht allein bleiben würde. Insbesondere das Ausbleiben der Revolution in Deutschland (welcher Art die Novemberrevolution 1918 war, s. unten) hatte schwerwiegendste Folgen. Die Desillusionierung von 1914 war noch lange nicht gründlich genug gewesen. Welches Ausmaß und welche Folgen der Verrat von 1914 hatte, war selbst von den hellsichtigsten und kritischsten Köpfen wie Rosa Luxemburg und W.I. Lenin noch unterschätzt worden. Wegen ihrer Kritik wurde Rosa Luxemburg von den von ihr Kritisierten gemordet. Die SPD (in die Morde verwickelt) war damit - 5 Jahre nach ihrem Verrat von 1914 - am Ende.

1914 hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das zaristische Rußland als despotisch gebrandmarkt und den Krieg Deutschlands gegen Rußland unter diesem Vorwand mitgetragen und propagiert. Es war und ist infam (noch dazu von deutscher Seite, damals und nun mehr als 90 Jahre nach den Ereignissen der russischen Revolution) den Akteuren und Revolutionären vorzuwerfen, daß sie die Zarendespotie beseitigt haben und daß sie in einem zweiten Schritt - der Oktoberrevolution - die Regierung abgesetzt haben, die den Krieg nicht beenden wollte. Soll kritisiert werden, daß mit der Tagung und den Beschlüssen des Zweiten Gesamtrussischen Kongresses der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten in Petrograd eine neue Staatsmacht, die den Krieg beenden wollte und konnte, entstanden war? Soll gar kritisiert werden, daß ein separater Frieden mit den Deutschen diesen in die Hände arbeitete (Beendigung des Zweifrontenkrieges)? Es leuchtet ein, daß eine solche Kritik und Argumentation nur dann nicht heuchlerisch war, wenn auf Seite der Kritiker selbst alles daran gesetzt wurde, den Krieg zu beenden und Kriegsursachen zu beseitigen.

Selbstverständlich beanspruchte die neue Sowjetmacht das staatliche Gewaltmonopol, wie jeder bis dahin entstandene Staat. Neu ist und richtungweisend war, daß der Krieg als politisches Mittel ausscheiden sollte. Wie wurde nun darauf reagiert?

Die große Hoffnung der Bolschewiki war seit dem Oktober (November), daß die Krise, die nach mehr als dreijährigem Krieg längst auch Deutschland erfaßt hatte, eine revolutionäre Zuspitzung in diesem wirtschaftlich und sozial erheblich weiterentwickelten Land auslösen würde. Zwischen Deutschland und Sowjetrußland wurde am 15. Dezember ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, das am 17. Dezember in Kraft trat. Friedensverhandlungen begannen am 22. Dezember, die sich im Januar wegen annexionistischer deutscher Forderungen als sehr schwierig erwiesen. Ab Anfang Januar 1918 begannen in Deutschland Vorbereitungen für große Streiks vor allem in den Kriegsindustrien. Die revolutionären Obleute in den Betrieben der Metall- und Rüstungsindustrie hatten ihre illegale Organisation nach der russischen Revolution erweitert und drängten auf Herbeiführung des Friedens, Aufhebung des Belagerungszustandes, Gewährung demokratischer Rechte und Freiheiten.

Das war wieder die Stunde der Ebert und Scheidemann. Die Ebert-Kriegsfraktion der SPD nahm sich der Streiks an, um sie - nach eigenem Bekunden - "zum schnellsten Abschluß zu bringen." Zu diesem Zweck trat sie sogar in die Streikleitung ein. Die Kalkulation der Ebert und Scheidemann (vgl. das vorausgehende Kapitel) drohte durch einen Erfolg der Streikbewegung in Gefahr zu geraten. Ihr Kriegsziel war in Gefahr. Die Aktion des trojanisches Pferdes (Ebert und Scheidemann) wurde außerhalb der Betriebe ergänzt durch schwerbewaffnete Polizeieinheiten, die ab 31. Januar bei Demonstrationen nach Säbelattacken und Gegenwehr in die Menge schossen, mehrere Arbeiter ermordeten und viele schwer verletzten. Der verschärfte Belagerungszustand über Berlin wurde verhängt, Kriegsgerichte eingerichtet, Massenverhaftungen setzten ein, täglich wurden 500 bis 600 Arbeiter zum Kriegsdienst einberufen, große Rüstungsbetriebe wurden unter militärische Leitung gestellt. In anderen Teilen Deutschlands wurden ähnliche Maßnahmen ergriffen. Am 4. Februar war der Streik niedergekämpft.

Wie erwähnt hatten Friedensverhandlungen am 22. Dezember 1917 begonnen, die sich im Januar wegen annexionistischer deutscher Forderungen als sehr schwierig erwiesen und die nach erneutem deutschen militärischen Vormarsch und Besetzungen dazu führten, daß Sowjetrußland im März einem Diktatfrieden zustimmen mußte. Dies ist die kaiserlich-deutsche Antwort unter Mitwirkung der SPD auf das Dekret über den Frieden, welche die Streikbewegung in Deutschland mit ihren Forderungen vergeblich zu verhindern versucht hatte.

Der von Sowjetrußland erhoffte gemeinsame Aufbruch in eine friedliche Zukunft beider Länder, eine gegenseitige Unterstützung über bloße Streiks und Demonstrationen hinaus auf deutscher Seite war vorerst - und zwar gewaltsam - von Kaiser, Militär, Kapital, Staatsmacht und der SPD-Kriegsfraktion verhindert worden.

Die Bolschewiki mit Lenin bildeten die einzige sozialdemokratische Partei im Verbund der Sozialistischen Internationale, die von Anfang an (seit Kriegsbeginn 1914) gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung mobilisiert hatte. Die Politik eines sofortigen Friedensschlusses hatte zur Konsequenz den November 1917, und sie blieb umgekehrt dessen Konsequenz, am 3. März 1918 dann mit dem Abkommen von Brest-Litowsk. Sollten sich die Bolschewiki ihrer Verpflichtung gegenüber, gegenüber dem ganzen Land und darüber hinaus, von dem Weg, den sie eingeschlagen hatten, der richtig war, weil er den Krieg tatsächlich beenden konnte und den sie daher konsequenterweise fortsetzen mußten, wieder wegdrängen lassen? Sie hatten die Aufgabe übernommen, die Katastrophe, den Krieg, zunächst Rußland betreffend, zu beenden, ohne wenn und aber. In Rußland hatten sie den Versuch begonnen, die gesellschaftliche Grundlage von Krieg und Elend, die Klassenherrschaft zu beseitigen. Sie hatten während der Llow- und Kerenskiregierung die Unterstützung der Bevölkerung und Mehrheiten in den Sowjets erhalten. Dieser Bewegung gegenüber waren sie in der Pflicht. Sollten sie gleich wieder abdanken, einer Fortsetzung des Krieges selbst das Tor öffnen, weil sie in den Wahlen zur Konstituante mit veralteten Kandidatenlisten eine Niederlage hinnehmen mußten? Es war ein Dilemma Rußlands, eines Landes ohne demokratisch-parlamentarische Tradition, durch Jahrhunderte Zarendespotie geprägt, die weltweit als Bollwerk der Reaktion und Unterdrückung sprichwörtlich geworden war. Es war ein Dilemma einer Situation, in der die Konterrevolution vor nichts zurückschreckte, in der das Ausland, die sogenannten (d.h. sich selbst so nennenden) zivilisierten Länder die neue Staatsmacht zu isolieren versuchten und begonnen hatten, sie zu bekämpfen (Großbritannien, Frankreich, die USA etc.).

Den Organisationen der Arbeiterbewegung, den Sozialdemokraten, Sozialisten (ab 1918 bzw. 1919 den Kommunisten), in einer Periode sich überstürzender Ereignisse, fehlen ab 1919 bzw. 1923/24 in entscheidender Zeit die Fähigkeiten, die Klar- und Weitsicht von Rosa Luxemburg und Lenin, beide genauestens ausgesuchte Opfer von Morden 1919 bzw. 1918 mit Todesfolge 1924. Nach dem Attentat auf Lenin am 30. August 1918 (und anderen Attentaten auf Vertreter der Sowjetmacht) beginnt mit einem Dekret vom 5. September eine Phase des roten Terrors, d.h. Verstärkung der Tscheka und der Einrichtung von Konzentrationslagern. Nach Lenins Tod 1924 beginnt die Tragödie der Stalin-Diktatur.

In einem Brief an den Parteitag der KPdSU, den er am 25. Dezember 1922 diktiert, spricht Lenin die entstandenen politischen Verhältnisse in der UdSSR und die mangelnde Eignung seiner potentiellen Nachfolger offen an: "Genosse Stalin hat dadurch, daß er Generalsekretär geworden ist, eine unermeßliche Macht in seinen Händen konzentriert, und ich bin nicht überzeugt, daß er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen. Andererseits zeichnet sich Genosse Trotzki, wie sein Kampf gegen das ZK in der Frage des Volkskommissariats für Verkehrswesen schon bewiesen hat, nicht nur durch hervorragende Fähigkeiten aus." In einer Nachschrift vom 4. Januar 1923 heißt es: "Stalin ist zu grob, und dieser Fehler, der in unserer Mitte und im Verkehr zwischen uns Kommunisten erträglich ist, kann in der Funktion des Generalsekretärs nicht geduldet werden. Deshalb schlage ich den Genossen vor, sich zu überlegen, wie man Stalin ablösen könnte ..." (Zitiert nach: Wikipedia, Lenin.)

Lenin besaß nicht mehr die Kraft (nach einer Kette von Schlaganfällen etc.) und Autorität, seine auch selbstkritisch zu verstehende Beurteilung und daher Korrektur der längst eingetretenen, gefährlichen Entwicklung politisch durchzusetzen.

Für die Überwindung der Gesellschaft des Kapitals ist die gedankliche Bewältigung des Gegenstandes konstitutiv, und weniger ein einzelner gewonnener Barrikadenkampf, der geschichtlich in Europa insbesondere im 19. Jahrhundert dazugehörte. Faktisch war daher der Versuch von 1917, über die kapitalistische Klassengesellschaft hinaus zu gelangen nicht erst mit dem Zerfall der UdSSR (Selbstauflösung 1991), sondern bereits mit dem Mordanschlag auf Lenin im Jahre 1918 gescheitert. (Mit solchen Anschlägen mußte gerechnet werden.) Der Aufbau des Neuen hängt einzig und allein von Menschen und ihren Einsichten ab.

Das zu schaffende Neue kann nur als bewußtes Werk derjenigen entstehen, die das Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft begreifen und daher die Mittel entwickeln, es nicht nur der Absicht und der Phrase nach aufzuheben. Es war eine weitere große Illusion, daß durch die Deformierung und Verknöcherung der Wissenschaft der politischen Ökonomie - des theoretischen Ausdrucks einer fremden Wirklichkeit, bezogen auf das rückständige Rußland mit seinem Gegensatz von Land und Stadt - zur Ideologie eine Voraussetzung gegeben sei, um die Welt des Kapitals umzustülpen, zum Herren der eigenen Vergesellschaftung zu werden und nicht ihr Knecht zu bleiben.

Der Völkerbund - Ergebnis des 1. Weltkrieges

Der Völkerbund - der andere, vom geschilderten scheinbar ganz getrennte große Aufbruch vor 90 Jahren, von den USA initiiert und dann alleingelassen - gewinnt nicht die Akzeptanz, um die Lehren aus der Katastrophe praktisch wahr zu machen. Wilson hatte im Januar 1918 seine 14 Punkte und das Konzept des Völkerbundes als Antwort und Alternative zur sozialistischen Novemberrevolution 1917, als "demokratische Weltrevolution", verkündet, der US-Senat später den Beitritt der USA verhindert.



Novemberrevolution in Deutschland

Die Novemberrevolution in Deutschland war schon nach gut zwei Monaten am 15. Januar 1919 mit den Morden an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und an den Revolutionären, die versucht hatten insbesondere ihre Wortführer mit Aktionen gegen geschürte Pogromstimmung (Eröffnung des Feuers eines Ebert unterstellten Regiments auf einen Demonstrationszug unbewaffneter "Roter Garden": 16 Tote, Flugblätter und Presse der Ebert-Noske-SPD: "Die Stunde der Abrechnung naht"), gegen reaktionäre Presse (Mordaufrufe an Spartakisten, Aufrufe für weitere Freikorps) und gegen Willkürherrschaft (Absetzung des USPD-Polizeipräsidenten Emil Eichhorn durch Ebert) zu verteidigen und zu retten, zu Grabe getragen.

Von lamettabehangenen, blutleeren Vampiren alias Kaiser etc., wechselnden Reichsregierungen und wechselnden Generalstäben in sinnlose Schlachten und Angriffe zu Lande (und auch zu Wasser) gezwungen, als Hindenburg-Ludendorffs Zinnsoldaten, als Kanonenfutter für größenwahnsinnige Kriegsziele selbst die Opfer tatsächlicher und noch geplanter Kriegsverbrechen, meuterten Matrosen im Oktober 1918, nachdem Admiral Hipper eigenmächtig die Flotte zu einer letzten (!) Seeschlacht, d.h. zu seinem persönlichen Abgang, gegen die Royal Navy in den Ärmelkanal entsenden wollte. Die sog. Eliten, vor denen die Ebert-SPD seit 1914 kroch und dienerte: unfähig und in der Sackgasse, Gefangene ihrer Doktrin und Tat. Die militärische Führung (OHL), der das Reich seit 1916 ausgeliefert war: abgehalftert und unfähig, militärische Entwicklungen realistisch zu beurteilen, irreführend, sprunghaft, widersprüchlich. Diplomatische Chancen wurden vertan. Die sog. Eliten ahnten, was kommen konnte, und bauten darauf, daß ihnen die Ebert-SPD neues Leben einhauchen würde. In letzterem Fall hatten sie sich nichts vorgemacht.

Der 8. August 1918 hatte mit einem militärischen Durchbruch der Alliierten die Niederlage der Mittelmächte besiegelt. Die Ebert-SPD war bereit, Ludendorffs Spiel des nun plötzlich im September gewollten Einbezugs der politischen Parteien mitzuspielen, d.h. jetzt in militärisch aussichtsloser Lage die Reichsregierung auf eine parlamentarische Basis zu stellen und damit die Verantwortung für Niederlage, Kapitulation und alle Folgen dem Parlament zuzuschieben. Ludendorff selbst, der am 29.09.14 die militärische Lage als aussichtslos und verloren erklärt hatte, forderte Ende Oktober nach einer dritten Wilson-Note, den Krieg wieder aufzunehmen. Er wurde nun durch General Wilhelm Groener ersetzt und floh heldenhaft mit falschem Paß ins Ausland, ins neutrale, friedliche, schöne Schweden. Am 5. November stimmten die Alliierten der Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen zu.

Der Matrosenaufstand führte Anfang November zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten im gesamten Reich, so auch in Berlin (in Rußland seit 1905 Sowjets genannt). Diese Räte, endlich in der Folge spontaner Abwehr- und Widerstandshandlungen gegen Kriegsverbrechen entstanden, mußten in Deutschland ohne umfassendes Konzept und ohne landesweit akzeptierte (und vor allem präsente) Wortführer handeln, zunächst um militaristische Übergriffe auf Leib und Leben abzuwehren. (Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht waren noch bis Ende Oktober/Anfang November hinein im Gefängnis, und die oppositionellen Sozialdemokraten hatten es nicht vermocht, unter den Bedingungen des Kriegsrechts und der Militärherrschaft Hindenburgs und Ludendorffs eine illegale Organisation aufzubauen.) Die Räte bestanden zum weitaus größten Teil aus Anhängern von SPD und USPD. Ihre Stoßrichtung war demokratisch, pazifistisch und antimilitaristisch. Sie entmachteten neben den Fürsten nur die bis dahin allmächtigen militärischen Generalkommandos. Alle zivilen Behörden und Amtsträger des Kaiserreichs - Polizei, Stadtverwaltungen, Gerichte - blieben unangetastet (Wikipedia, Novemberrevolution, Stand: 17.03.2008).

Am Abend des 8. November hatte die USPD 26 Versammlungen in Berlin einberufen, auf denen ein Generalstreik und Massendemonstrationen für den nächsten Tag angekündigt wurden. Um möglichen "Unruhen" entgegen zu treten, ließ Prinz Max von Baden als letzter kaiserlicher Kanzler ebenfalls am Abend des 8. November das als besonders "zuverlässig" geltende 4. Jägerregiment nach Berlin verlegen. Doch selbst diese Soldaten waren am Morgen des 9. November nicht gewillt, auf Landsleute zu schießen. Sie schickten eine Abordnung zur Redaktion des "Vorwärts", um Aufklärung zu verlangen. Dort trafen sie auf den Abgeordneten Otto Wels. Er konnte diese Soldaten davon überzeugen sich der Führung der SPD zu unterstellen (und anschließend noch Soldaten weiterer Regimenter). Die militärische Kontrolle der Hauptsstadt war den Sozialdemokraten zugefallen.

Zur gleichen Zeit erfuhr der Kaiser im belgischen Spa (Quartier der OHL) das Ergebnis einer Befragung unter 39 Kommandeuren. Auch die Frontsoldaten waren nicht mehr bereit, seinen Befehlen zu folgen. Dennoch dankte er nicht ab. Darauf handelte Kanzler Max von Baden in Berlin auf eigene Faust und gab am Morgen des 9. November auf Drängen Eberts telegrafisch die Erklärung heraus, daß der Kaiser sich zur Abdankung entschlossen habe. Der Kaiser floh daraufhin, ebenfalls heldenhaft wie sein Generalquartiermeister, in die Niederlande.

Nun wußte Ebert, welche Chance sich aufgetan hatte. Er forderte das Amt des Reichskanzlers für sich. Umgehende Sonderausgaben des "Vorwärts" (jetzt war man schnell) forderten die Demonstranten, die Arbeiter- und Soldatenräte, die USPD und ihre Anhänger auf, nach Hause und in die Kasernen zu gehen. Hatte man im "Vorwärts" den Namen des Blattes richtig verstanden? Lang war es her mit der Kenntnis des Koordinatensystems, der Kenntnis von Ort und Zeit.

Beim Mittagessen im Reichstag erfuhr der stellvertretende SPD-Vorsitzende Scheidemann schwer Verdauliches, daß nämlich Karl Liebknecht, den man doch auf Betreiben der SPD-Führung als Fraktionsmitglied und Kriegsgegner zum Kriegsdienst eingezogen und als das nichts "fruchtete", aus der Partei ausgeschlossen und 1916 wegen Hochverrats ins Gefängnis gebracht hatte, die Ausrufung der sozialistischen Republik plane. (Er war Ende Oktober aus dem Gefängnis freigekommen und hatte den Spartakusbund am Vortag neu gegründet.)

Scheidemann unterbrach sein gestörtes Mittagessen - wider Eberts erklärten Willen gegen damit verbundene Absicht - und trat an ein hohes geöffnetes Fenster des Reichtagsgebäudes. Er hatte fabelhaftes Glück, unten war es lebendig. Es waren Demonstranten, die eigentlich vom "Vorwärts" nach Hause und zurück in die Kaserne geschickt worden waren, Befehle aber satt (wenn auch kaum etwas zu essen) und offenkundig verweigert hatten. Scheidemann redete nicht lange, das Mittagessen hätte kalt werden können. Auch eine umständliche Darstellung der Wahrheit hätte einfach zu lange gedauert. Ein paar Worte vorweg über Not, Elend und die "Daheimkrieger" (ausgenommen die SPD-Kriegsfraktion natürlich) und dann kurz die Neuigkeit: "Der Kaiser hat abgedankt. Er und seine Freunde sind verschwunden, über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt. Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien angehören werden. Die neue Regierung darf nicht gestört werden" - damit war er beim Thema: Das Mittagessen - "in ihrer Arbeit für den Frieden und der Sorge um Arbeit und Brot." Also schnell noch ein paar kurze Sätze fürs Gemüt. Denn die Arbeit für den Frieden - das war die Konspiration und Geheimabsprache mit dem Nachfolger Ludendorffs, General Groener im belgischen Spa, das war die Aufstellung von republikfeindlichen Freikorps durch Noske zum Einsatz gegen die Arbeiterbewegung, das war der blutige Angriff auf die Volksmarinedivision, das war die Verfolgung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht etc. Man erinnert sich an 1914 und die freche Lüge vom Überfall, vom Verteidigungskrieg, während deutsche Truppen in Belgien wüten. Ebert, Scheidemann, Noske hatten es geschafft, sie waren im Kreis der "Eliten" angekommen. Dafür kann man schon mal Blut spenden.

Selten hat jemand frecher fremde Früchte, nämlich die der USPD (und der Räte), der sowohl offen als vor allem auch konspirativ bekämpften, abgeerntet. Diejenigen, die von Ebert und Konsorten aus Fraktion und Partei wegen ihrer Kritik des verbrecherischen Krieges ausgeschlossen waren, besaßen das Vertrauen der arbeitenden Klassen und waren nun mit den Arbeiter- und Soldatenräten zu gemeinsamer, wirksamer Aktion fähig. Daß das Volk "über sie alle" "auf der ganzen Linie gesiegt" hatte war ihre Aktion, ihr Erfolg. Es war ihr Erfolg nicht wegen, sondern trotz der Ebert, Scheidemann & Noske AG, die die Revolution nach eigenem Bekunden "wie die Pest haßt".

Die Ebert & Noske AG nutzte bei alledem unverfroren aus, daß die Partei als ganze und daher auch ihre Führung, deren Aktivitäten hinter den Kulissen man nicht kennen konnte, immer noch für eine verläßliche, aufrichtige Vertreterin der Arbeiterbewegung gehalten wurde. Die bei allen Demonstrationen, Versammlungen etc. im Vordergrund (Plakate etc.) stehende Parole ist die von der "Einigkeit der Arbeiterklasse", die Forderung nach "Einigkeit der Arbeiterparteien". Die Forderung drückt die Ahnung aus, daß bei den Vorgängen Entscheidendes nicht stimmen kann, ferner die von Ebert & Co. tückisch ausgenutzte Ohnmacht, darüber gründliche, die ganze Wahrheit umfassende Kenntnis und Aufklärung zu erhalten.

Die in 4 Jahren geschulte Schauspieltruppe der Ebert, Noske, Scheidemann sieht den Vorteil, drängt sich schleunigst auf die vorderste Bühne und führt eine Revolutionsgroteske auf. Scheidemann gestaltet den großen Auftritt:

- Die Flucht des Kaisers wird mit vorgetäuschter Abdankung aufgebläht, um den gefährlichen Schwung der begonnenen Revolution, die bis zu diesem Tage wegen des Kriegsrechts und der Kerkerhaft der Wortführer nicht ernsthaft organisiert wird, gleich wieder zu unterbrechen. Die Übertreibung des Erfolgs soll verblüffen, bremsen und einlullen. Das Wichtigste (die Blutspende) sei erreicht, nun geht.

- Ebert wird gegen seinen erklärten Willen zum Kanzler der Republik ausgerufen. Er haßt die Revolution "wie die Pest", er ist Monarchist. Schon am nächsten Tag, dem 10. November beginnt die Konspiration gegen die Revolution (Ebert/Groener Geheimabsprache zur militärischen Niederschlagung der Revolution) durch ihren angeblichen Repräsentanten. Die Erschaffung einer Republik zwischen "Suppe und Desert" war der Coup, der umgehend und zielstrebig mit erlernter vierjähriger Rücksichtslosigkeit auszunutzen war.

- Das Wichtigste: Das Regierungsgeschäft - die entscheidende Gewalt im zusammenbrechenden Kaiserreich - wird von der Ebert & Noske Schauspieltruppe usurpiert. Die Regierungsgewalt wird denen gestohlen, die durch die revolutionäre Bewegung der vergangenen Tage, Wochen (und Jahre) einzig legitimiert wären. Sie wird durch diejenigen gestohlen, die durch ihre Komplizenschaft mit militaristischer, administrativer und ökonomischer "Elite" schon Funktionsträger des kaiserlichen Staates geworden waren, wie z.B. Scheidemann als Minister im kaiserlichen Kabinett. Ein Teil der Regierung, mit deren Zugriff, Befugnissen, Kenntnissen, Verstrickungen wird die neue "republikanische" Regierung, die zwar notgedrungen - um der augenblicklichen Stimmung und dem Wunsch nach Einigkeit zu entsprechen - Vertreter der USPD - in ihr Personal nehmen muß, aber von diesen Statisten keine ernsthafte Konkurrenz oder Störung ihrer Absichten befürchten muß.

Die Republik des 9. November 1918 beginnt also mit mehrfacher Täuschung. Die Akteure der Ebert & Noske AG sind seit 4 Jahren bestens geübt, virtuos im Täuschen und im Betrug. Die Saat des Generals Ludendorff keimt bereits, die Nationalsozialisten werden leichtes Spiel haben, den Verrat und die Unaufrichtigkeiten der begonnenen parlamentarischen Republik zu fühlen und herauszufinden, für ihre Zwecke zu exploitieren und nach allen Regeln einer Kunst, deren Anfangsgründe ihnen soeben nahegebracht wurden, auszuschlachten. Sie brauchen die Nähe zur Sozialdemokratie nicht zu suchen, die Sozialdemokratie hat die Nähe zu ihnen gesucht. Sie werden ihren Lehrmeister - denn die Sozialdemokratie ist eines der Vorbilder Hitlers (für seine Zwecke) - schnell überflügeln. Das Stichwort heißt Verrat. Denunziation eines Verrats, der ein ganz anderer ist, um selbst und gleichzeitig einen noch viel größeren, umfassenden, nie dagewesenen zu begehen, derartige Verwechslungen kann sich nur ein Land dieser Welt bieten lassen. Das Land heißt "Reich" und das Gelingen ist in einem ersten Schritt "Verdienst" der Ebert & Noske AG.

Der Chauvinismus auch in der Sozialdemokratie hatte den arbeitenden Klassen die Unterstützung ihrer eigenen Katastrophe seit dem 4. August (1914) beschert. Wenn der 4. August richtig war, dann war der November (1918) falsch. Dann mußte für die Opfer der arbeitenden Klassen und zu ihrer "Befreiung" (wie auch immer) nicht gegen den Chauvinismus sondern vor allem in seinem Namen eingefordert werden. Lästige Details konnten später geregelt werden. Daß der November richtig war und damit der 4. August falsch, überstieg (wie oben bei Ebert gesehen) den Horizont vieler Mehrheitssozialdemokraten, d.h. der Ebert & Noske AG. Pfründe lockten. An vornehmster Stelle: Vom Sattler zum Reichspräsidenten. Dem Werk fehlte noch die Krönung. Die Beibehaltung des Klassenstaats, mit entsprechender Verfassung und mit Wahlen nach entsprechendem Wahlrecht, versprach reichlich Beute. Das unschuldige Rotkäppchen, das sich nun mit dem Blick nach vorn als Partei des kleineren Übels (was auch immer geschehen sollte und woher auch immer der Wind wehen sollte - der Stein der Weisen, sofern eine wirkliche Opposition unter eigener Mitwirkung unterdrückt werden konnte) auf einem vielversprechenden Weg immerwährender Glückseligkeit wähnte, sah noch nicht, welche Wölfe es selbst angelockt, schon genährt und vor allem, welchen gewaltigen, unstillbaren Appetit es ihnen gemacht hatte: Vom Gefreiten zum Reichskanzler, aber nun mit NSDAP, SA und SS.

Gegenüber der Ebert-SPD, die die Wissenschaft für einen Dreck erklärt hatte, mit ihrem Bluthund Noske (ausdrücklicher Gegner ostjüdischen Einflusses und des "Ausbrütens einer Geheimwissenschaft") und dessen Freikorps sollte es sehr bald einen vorbereitenden, folgenreichen Unterschied geben: "Der Kampf gegen eine geistige Macht mit Mitteln der Gewalt ist aber solange nur Verteidigung, als das Schwert nicht selber als Träger, Verkünder und Verbreiter einer neuen geistigen Lehre auftritt." (Zitat aus dem Jahr 1924. Zitiert nach Alan Bullock, Hitler - Eine Studie über Tyrannei, 1953.) Der Verkünder war vor kurzem noch Meldegänger gewesen und hatte soeben mit Ludendorff einen gewaltsamen Staatsstreichversuch unternommen. Noske und seine Freikorps hatten mit dieser Neuerung ihren Meister gefunden. Sie hatten ihn eingeladen und ihm den Boden bereitet, den roten Blutteppich ausgerollt.

Ihre Niederschlagung von revolutionären Anläufen - vielmehr von Widerstandsaktionen gegen militaristische Übergriffe, deren Akteuren (den Räten etc. nämlich) sie selbst (die Ebert & Noske AG) ihre fabelhafte Stellung verdankten und welche (die Aktionen und deren Akteure) sie nun aus ihrer fabelhaften Stellung heraus meuchelten (in der Propaganda dieser Seilschaft aufgebläht zu militärischen Erfolgen gegen bolschewistische, unter russischem Einfluß stehende Aufstände gefährlichsten Ausmaßes) - setzte auf das nationale Vorurteil, wie schon am 4. August 1914.

Vom 9. November 1918 ab, der erfolgreichen Usurpation der Regierungsmacht auch im "Rat der Volksbeauftragten" am 10. November, dem Geheimpakt mit General Groener zur Meuchelung der Revolution vom gleichen Tage, von diesen Weichenstellungen ab hatte es die Ebert & Noske Mafia AG eilig und war ihr jedes Mittel recht: Ein erster Putschversuch Anfang Dezember zur Eroberung der ganzen Macht, vorzeitiges Losschlagen eines Regiments: Ein Blutbad unter wehrlosen, unbewaffneten Demonstranten. Mordaufrufe gegen Spartakisten. Einsatz von Truppen gegen die Volksmarinedivision. Entlassung des USPD-Polizeipräsidenten Eichhorn am 4. Januar 1919, der sich weigert, sein Amt niederzulegen. Zur Wiedereinsetzung wird zum Protest aufgerufen. Der 5. Januar sieht Demonstrationen und Aufmärsche wie am 9. November. Spartakisten bzw. KPD sind keineswegs führend beteiligt. Die Forderungen kommen aus der Arbeiterschaft selbst. Die Besetzung von Zeitungsredaktionen, von denen Mordaufrufe ausgingen und ausgehen, durch bewaffnete Demonstranten wird zur großen Falle. Die Redaktionsstuben bleiben ungenutzt, aber das Militär und dann die Freikorps erhalten von Ebert, Noske und Konsorten den Auftrag, blutigste Rache zu nehmen. In Flandern geschlagen, im Berliner Zeitungsviertel siegreich. Jetzt ist Ebert selbst der Kriegsherr und Noske sein Minister. Demonstranten, die sich ergeben hatten, werden in Gewaltexzessen ermordet. Dann wird die Propagandamaschine in Gang gesetzt: Ein höchst gefährlicher, von Bolschewisten unternommener Aufstand - der Spartakusaufstand - sei von Militär und Freikorps erfolgreich bekämpft worden. Am 15. Januar 1919 werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Opfer von Auftragsmorden, ausgeführt vom größten Freikorps, der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Der Weg zu den Wahlen zur Konstituante am 19. Januar 1919 ohne die für Ebert und Konsorten gefährlichste Kritikerin Rosa Luxemburg ist buchstäblich freigeschossen.

Der neuerliche Verrat, die Meuchelung und Gewaltexzesse im Namen des Kampfes gegen den Bolschewismus liefern das andere große Stichwort, um angesichts des Zustandes Deutschlands nach verlorenem Krieg, der Vorortverträge etc., der Verelendung und der Demütigung der arbeitenden Klassen durch Militarismus, Kaiser, Kapital und deren politischen Eliten, nun inklusive der Elite der Ebert&Noske AG, die NSDAP und Hitler stark und erfolgreich zu machen. Letztere müssen dazu nur konsequenter, noch skrupelloser und brutaler auftreten und den richtigen Zeitpunkt abwarten. Für die, gegen die sich die neue, d.h. die alte modernisierte Brutalität richtet, ist von vornherein klar: Hitler, das ist unvermeidlich der zweite Weltkrieg.

Die Nationalsozialisten, sobald und soweit sie in der Folge des 1. Weltkrieges als Arbeiterpartei auftraten, waren die konsequenteren sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Verräter ihrer Klasse, unter dem Stichwort des Kampfes gegen den nationalen Verrat. Das Stichwort war ihnen bereits mit dem August 1914 vorgegeben. Sie mußten nur das Vorzeichen und das Datum wechseln. Der 1. und der 4. August 1914 ist, trotz seiner epochalen Bedeutung und seiner Folgen, nie von der Ebert-SPD als Partei aufgearbeitet und verarbeitet worden. Die Ebert-SPD, die den Krieg mitgetragen und mitzuverantworten hat, hat dafür gesorgt, daß die Aufarbeitung unterblieb. Ihr Unterlassen ist - lapidar formuliert - ebenso kritikwürdig wie verständlich.

Die Ebert & Noske AG hatte zurecht Angst vor Rosa Luxemburg. Die Kritiker, die nun Recht behalten hatten, durften in der Arbeiterbewegung nicht die Oberhand gewinnen. Rosa Luxemburg war das größte Talent und hatte in einem Land mit demokratischer Tradition studiert und gelebt. Man konnte die Augen schwer davor verschließen, daß 1914 langandauernde Folgen hatte, weiter- und tieferreichend als jedes andere Datum. Seit 1913, dem Wechsel von Bebel zu Ebert, ist die SPD mit der Wissenschaft der Politischen Ökonomie im unreinen. 1914 tritt dieser Umstand zutage. Der Partei gelingt 1918/19 die Befreiung von ihrer Doktrin und aus ihrem Verrat nicht. Sie greift zur Meuchelung ihrer Kritiker, vor allem Rosa Luxemburgs. Es handelt sich um Auftragsmorde der antibolschewistischen Liga des Eduard Stadtler (Antibolschewistenfonds der deutschen Wirtschaft - zu den Empfängern von Geldern aus diesem Fonds zählt auch die SPD), in die nach Angaben von Zeitzeugen und Tätern (E. Stadtler und W. Pabst) auch Noske und Ebert verwickelt waren (vgl. Wikipedia, Artikel: Rosa Luxemburg, Antibolschewistische Liga, Eduard Stadtler, Waldemar Pabst, Gustav Noske, Friedrich Ebert.)

Was tun im September 2008? Die SPD muß zu ihrer Befreiung aus der Gefangenschaft des 4. August 1914 Rosa Luxemburg rehabilitieren und ihre Beteiligung an der Mordpolitik nach außen und nach innen eingestehen mit allen Konsequenzen. Zum Beispiel: Benennungen nach Friedrich Ebert (wie die der Friedrich-Ebert-Stiftung) sind schwer erträglich. Noske-Verehrer und Zöglinge (z.B. der Sprecher des Seeheimer Kreises J. Kahr, der sich in der Debatte um den Kurs der Partei im Freikorps-Jargon gegen Kurt Beck profilierte) muß die SPD selbstredend schleunigst aus der Partei werfen.

Aktualisierung 2009: Was tun im März/April 2009? Die SPD sollte auf internationale Proteste und Ratschläge hören. Sie sollte dafür sorgen, daß ein unbelehrbarer Peitschen-Kavallerie-Ouagadougou-Steinbrück (vgl. den Artikel "McCains und Steinbrücks Umgang mit Menschen" auf dieser Internetseite) und ein Soldaten-Müntefering ihrer Ämter enthoben und sie wegen parteischädigenden Verhaltens aus den Reihen der Partei ausgeschlossen werden.

Die Unbelehrbarkeit eines Peitschen-Steinbrück zeigt sich auf exponierter Bühne - nämlich auf einer Pressekonferenz in London im März -, indem er im Konflikt um internationale Steuerdelikte sich und sein Vorgehen mit der Kavallerie und die Schweiz mit - man höre und staune nochmals - Indianern vergleicht. Indianer sind bekanntlich die Ureinwohner Amerikas, die zunächst irrtümlich für Bewohner Indiens gehalten wurden. Die Taíno-Indianer (einige Hundertausende) der Antillen gab es nach Ankunft der Spanier 1492 wenige Jahrzehnte später wegen der Verbrechen der überaus freundlich auf dem für sie neuen Kontinent Begrüßten nicht mehr. Deshalb bilden heute die Nachkommen aus Afrika stammender Sklaven die Bevölkerungsmehrheit einiger Länder Lateinamerikas inkl. seiner Inseln. Von den Irokesen Nordamerikas z.B. leben heute noch etwa 75.000. Vgl. Wikipedia-Artikel "Taíno" und "Irokesen". Durch die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey und im Schweizer Ständerat am 17.03.2009 ist der deutsche Finanzminister und seine aggressiven Äußerungen mit notwendiger Schärfe kritisiert worden. Der SPD-Vorsitzende Müntefering greift in der gleichen Sache zur Kriegsrhetorik und möchte Soldaten schicken. Müntefering am 25.02.2009: "In vergangenen Zeiten hätte man da Soldaten hingeschickt. Das kann man aber nicht, weil man findet die überhaupt nicht. Das sind nur Briefkästen, um die es da geht. Das nur nebenbei." Zitiert nach dem Ausschnitt einer Videoaufzeichnung der Rede, gesendet von SF1 am 19.03.2009.

Don Watahomigie von den Havasupai-Indianern in Arizona (USA) sagt in einem Kurzinterview mit der Schweizer Zeitung «Sonntag» vom 22.03.2009, die Äußerungen Steinbrücks seien eine Beleidigung mitten ins Gesicht der Ureinwohner Amerikas. Fragen im Interview von Peter Hossli: "Häuptling Watahomigie, waren Sie schon mal in der Schweiz oder in Deutschland?" Don Watahomigie: "Nein, aber ich würde gerne hingehen. Schicken Sie mir ein Flugbillett, dann komme ich." "Der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück sagt, die Schweizer seien Indianer, die durch die Kavallerie aufgescheucht werden sollten. Was halten Sie von solchen Vergleichen?" Watahomigie: "Der deutsche Politiker hat offenbar keine Ahnung, wovon er spricht." "Steinbrück verwendet das Wort «Indianer» für die Bewohner eines Landes, das angeblich hilft, Ausländern Steuern zu hinterziehen. Tun Sie das?" Watahomigie: "Wir Havasupai hinterziehen keine Steuern, und wir helfen niemandem, das zu tun. Was der Deutsche sagt, ist eine Beleidigung mitten ins Gesicht der Ureinwohner Amerikas." "Wie erklären Sie sich solche Aussagen?" Watahomigie: "Der Minister denkt offenbar noch immer wie im dunklen Zeitalter." "Was würden Sie ihm sagen, wenn Sie ihn träfen?" Watahomigie: "Dass er mehr über Indianer lernen sollte, bevor er etwas über uns sagt." "Welche Konsequenzen sollten die Bemerkungen haben?" Watahomigie: "Ich bin kein Deutscher. Jene, die ihn gewählt haben, sollten ihn aber zum Rücktritt auffordern. Und sie sollten ihm sagen, er soll nicht über Dinge reden, von denen er nichts versteht." "Wenn Steinbrück mit dem siebten Regiment der Kavallerie vor Yuma droht, schlägt er einen historischen Bogen zu den Indianerkriegen im 19. Jahrhundert. Welche Bedeutung haben die blutigen Konflikte für Ihr Volk?" Watahomigie: "Die Kriege haben uns gelehrt, dass wir niemandem trauen können. Wenn der Deutsche über uns reden möchte, dann soll er über die nach wie vor sehr schwierige wirtschaftliche Situation der Indianer in den USA sprechen." "Was würde einem amerikanischen Politiker widerfahren, der wie Steinbrück redet?" Watahomigie: "Alle Indianer der USA würden ihn anrufen und ihm mitteilen, solche Aussagen seien inakzeptabel. Viele würden ihn wohl zum Rücktritt auffordern." (Don Watahomigie ist Vorsteher des Stammesrats der Havasupai-Indianer in Arizona. Sie gehören zu den Yuma-Indianern im Südwesten Amerikas. Das Reservat der Havasupai liegt in unmittelbarer Nähe des Grand Canyons. Die Wasserfälle stehen Besuchern offen. Sie sind zu Fuss oder per Maultier zugänglich.)

Scharfe Kritik an Soldaten-Müntefering und Peitschen-Steinbrück kommt also nicht nur aus der Schweiz, sondern Steinbrück betreffend nun auch von denen, die in dessen rassistischen Vergleich die Hauptbetroffenen sind. Auch auf der Ebene des US-Kongresses wird Peitschen-Steinbrück mittlerweile entgegengetreten. Repräsentant Tom Cole gehört zur Chickasaw Nation, einem Stamm im Süden Oklahomas. Er ist das derzeit einzige Mitglied im US-Kongress, das einer der 562 souveränen Indianer-Nationen Amerikas angehört. Auf Anfrage der Zeitung Sonntag bezeichnete er Peer Steinbrücks Indianer-Vergleich als 'beleidigend und unangebracht'. Es sei den Deutschen überlassen, daraus Konsequenzen zu ziehen. 'Ich bin aber sicher, dass die grosse Mehrheit der Deutschen rassistische und ethnische Beleidigungen nicht willkommen heisst', sagt Tom Cole 22. March 2009.

Am 23.03.2009 macht sich Luxemburgs Ministerpräsident Juncker (der angebliche Vorzeigeeuropäer) ausgerechnet in Berlin mit Peitschen- und Kavallerie-Steinbrück gemein und springt ihm bei in seinen rassistischen Sumpf: "Indianer kennen keinen Schmerz und Luxemburger verstehen jeden Scherz." (Zitat nach Meldungen von dpa und Reuters) Am 28.03.2009 veröffentlicht die Dubliner Zeitung "The Sunday Business Post" die Nachricht, daß Venezuelas Präsident Chavez die Entscheidung des Bürgermeisters Jorge Rodriguez aus Caracas gelobt habe, eine Statue von Christopher Columbus (1451-1506) in der Hauptstadt zu demontieren. Die italienischen Fernsehnachrichten Telegiornale bringen ebenfalls am 28.03.2009 einen Bericht über das Ereignis, welches als ein weiterer Schritt den Bruch mit den ehemaligen Kolonialherren zum Ausdruck bringt. In welchem grundlegenden Wandlungsprozeß sich Lateinamerika (und seit dem 4. November 2008 bzw. dem 20. Januar 2009 endlich auch Nordamerika) gut 500 Jahre nach Beginn seiner Kolonialisierung und 200 Jahre nach einer ersten Befreiung von Europa (Spanien, Portugal, England und Frankreich) befindet, zeigen die Wahlergebnisse der letzten Jahre. Die Rede Barack Obamas in Prag am 5. April 2009 zur nuklearen Abrüstung, das Auftreten des US-Präsidentenpaares bei seiner Europareise und z.B. während des Besuchs bei der englischen Queen Elisabeth zeigt ebenso, daß die von den Römern "instrumentum vocale" genannten (das "sprechende Inventar") die Zeiten beenden werden, in denen das Opfer keinen Schmerz zu kennen hat.

Aktualisierung vom 1.08.2009: Am 6. Mai 2009 meldet die Neue Zürcher Zeitung unter der Überschrift: "Es reicht! Juncker ärgert sich über Steinbrück – und Luxemburgs Parlament auch." Luxemburgs Regierungschef Juncker hat empört auf neue Äußerungen des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück zum Thema Steuerparadiese reagiert. "Es reicht. Ich verlange Respekt für Luxemburg", sagte Juncker. Das Parlament verurteilte die "Entgleisungen Steinbrücks". Steinbrück hatte am 5. Mai in Brüssel gesagt: "Selbstverständlich werde ich sie zur Nachfolgekonferenz im Juni in Berlin einladen: Luxemburg, Liechtenstein, Schweiz, Österreich, Ouagadougou." Ouagadougou ist die Hauptstadt des afrikanischen Staates Burkina Faso (von Frankreich unabhängig seit 1960, mit diesem Namen seit 1984).

Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn erinnerte daran, daß Luxemburg von 1940 bis 1944 von deutschen Truppen besetzt war. "Jeder Luxemburger erinnert sich mit Grauen an eine Zeit, in der aus Deutschland, anfangs durch Worte und Reden, Erniedrigungen und Angst herüberschwappten", sagte er. "Auch nur ein Millimeter Überheblichkeit hoher deutscher Autoritäten löst in Luxemburg Gefühle aus, auf die wir gerne verzichten mögen."

Am 10. Mai 2009 meldet die NZZ unter der Überschrift: "Steinbrück unter Beschuss - Botschafter Ouagadougous fordert Klarstellung": Der Botschafter Burkina Fasos in Berlin, Xavier Niodogo, wünschte sich statt der erfolgten Entschuldigung auf dem diplomatischen Dienstweg eine öffentliche Klarstellung Steinbrücks. "Wir sind kein Steuerparadies", unterstrich er. Auf dem Parteitag der Grünen in Berlin wurde Steinbrück "Unglaubwürdigkeit und Dilettantismus" vorgeworfen, "weil er zulasse, dass die mittlerweile teilverstaatliche Commerzbank Tochterfirmen in der Schweiz, Liechtenstein und auf den Cayman-Inseln unterhalte. Er solle aufhören, Indianer und die Einwohner von Burkina Faso zu beleidigen." Scharf ging Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker nochmals mit Deutschland ins Gericht. Er bezog sich auf eine Bemerkung von SPD-Chef Müntefering, früher hätte man Soldaten in Steueroasen geschickt. "Wir waren schon mal besetzt", sagte er. "Wir haben unter deutscher Besatzung gelitten." Juncker erinnerte daran, dass Deutschland bis 2005 selbst Europas grösstes Steuerparadies gewesen sei, in dem nichtansässige Ausländer keine Steuern auf Zinsen gezahlt hätten.





Aktualisierung vom 8. Juni 2009: Europawahl und Krise der europäischen Sozialdemokratie


Die Europawahlen vom 4. bis 7. Juni 2009 (Wahlen in den 27 EU-Staaten zum europäischen Parlament bei einer EU-weiten Wahlbeteiligung von ernüchternden 43,09 %) zeigen in mehreren großen Ländern wie z.B. Frankreich, Großbritannien, Bundesrepublik Deutschland eine Niederlage sozialdemokratischer bzw. sozialistischer Parteien. Die Gründe sind zum einen national verschieden. So trägt etwa die regierende Labour-Party, die nur noch 15 % der Stimmen auf sich vereinigt, schwer am Erbe Blairs und die von ihr gestellte Regierung Brown ist seit einigen Wochen wegen eines Spesenskandals und daher eskalierender Regierungskrise in größter Bedrängnis. Die französischen Sozialisten (16,8 % der Stimmen) als Oppositionspartei in Frankreich erschöpfen sich in fruchtlos gebliebenen Rivalitäts- und Fraktionskämpfen. Gemeinsam ist diesen ergrauten Partei-Eminenzen ihre Konzeptionslosigkeit, begleitet von geschwundener Glaubwürdigkeit, dramatisch in Großbritannien, Ungarn, Frankreich. Die Parteien bedürfen der Erneuerung, zu der das aktuelle Wahlergebnis beitragen wird.

Das Attribut "sozial", die Forderung nach Regeln für die Finanzmärkte, das gegenseitige Auf-die-Schulter-Klopfen, der Verweis darauf, daß man wisse, wen man vertrete - das Arsenal einer SPD zeigt sich im Wahlkampf ausgedünnt und die Forderung nach einem Mindestlohn als Maximum: 20,8 % der Stimmen am 7. Juni.

Offensivgeist und eine gewisse Konsequenz (auch auf anderen als ökologischen Feldern) ist verblieben bei grünen Parteien auf europäischer Ebene, die den Wahlerfolg konservativer, rechtspopulistischer und -extremer Parteien etwas kompensieren können.

Was muß angesichts erneuter Weltwirtschaftskrise und ihrer Folgen (schon eingetretener und zu erwartender), nicht beendeter und endenwollender Konflikte gewaltsamer und kriegerischer Art noch geschehen, damit in Europa aufgewacht wird, damit der Faden wieder geknüpft wird, der 1914 gerissen war, d.h. vor allem durch die SPD gewalttätig zerrissen wurde? Die europäische Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung zeigt sich - trotz Demonstrationen, Protesten, Streiks z.B. in Frankreich, Italien - immer noch defensiv, einfallslos und am 7. Juni schwach und krank.

Warum ergreifen die Gewerkschaften z.B. angesichts von rasantem Niedergang der General Motors Corporation und seiner europäischen Töchter, von verlorenem Roulette bei Porsche/VW, bei Schaeffler/Continental, von mißratenem Management bei Karstadt/Quelle/Arcandor, Hertie etc. nicht selbst die Initiative, warum zögern Gewerkschaften und politische Organisationen, die Forderung nach Aktion des Staates zu verknüpfen mit der Ablösung und Ersetzung gescheiterter Geschäftspraktiken? Das Argument, der Wettbewerb werde verzerrt durch staatliche Eingriffe und Hilfe für einzelne Unternehmen, ist nur dann stichhaltig, wenn die staatlichen Maßnahmen der Rettung gescheiterter Unternehmer, Manager und ihrer Geschäftspraktiken auf Kosten der Steuerzahler (d.h. letztlich immer derjenigen, die die Werte schaffen) dienen. Auch ist der Staat, zumal in der Person eines juristisch vorgebildeten CSU-Wirtschaftsministers der bundesdeutschen Merkelregierung mit Sicherheit nicht der bessere Unternehmer. Geforderte und notwendige Staatseingriffe und -hilfen sind mit Maßnahmen zu verbinden, welche die Geschäftsgrundlage zugunsten derjenigen, die das Betriebsergebnis und die Werte schaffen und nicht derjenigen, die sie sich nur aneignen, verändern.

Orientiert an den Erfahrungen der Genossenschaftsbewegung seit Beginn der Industrialisierung (und hinsichtlich der geschäftlichen Konstruktion an den Regelungen einer GmbH, den Regelungen der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft und den Regelungen der "Europäischen Genossenschaft" - Societas Cooperativa Europaea SCE) wird es sich darum handeln, Unternehmen und Betriebe als Betriebe der Mitarbeiter, die zugleich als Gesellschafter fungieren, weiterzuführen. Das betriebliche Vermögen wird Eigentum der Versammlung der Gesellschafter, es gehört nicht einzelnen Personen. Unter dieser Voraussetzung ist die Verfügung über Steuermittel zur Rettung von Betrieben und d.h. deren Arbeitsplätzen gerechtfertigt und wird die Ursache des betrieblichen Scheiterns beseitigt. In geeigneter Weise werden periodisch Geschäfts- und Betriebsleitung von den Mitarbeitern gewählt und ggfs. auch abgewählt. Bezahlung der Mitarbeiter (inkl. derjenigen, die als Betriebsleiter etc. auf Zeit fungieren), Investitionen, Kooperationen mit anderen Firmen, Neueinstellungen und das Ausscheiden (welches auf Wunsch selbstverständlich möglich bleibt) von Mitarbeitern werden einem demokratischen und transparenten Verfahren unterworfen, welches als Satzung eines Betriebes auch überbetrieblich geltende Regeln enthalten wird. Diese Regeln werden Schritt für Schritt auszuarbeiten und weiterzuentwickeln sein nach Gesichtspunkten der Praxis.

Mit dieser Perspektive kann der Staat in die Pflicht genommen werden. Es kann dann trotz bereits gefährlich anwachsender Staatsverschuldung darauf bestanden werden, daß der Erhalt von Arbeitsplätzen ohne wenn und aber Priorität hat, sogar im Hinblick auf zukünftige Tilgung der Schulden.



Das Beispiel Mondragón (11. Juni 2009):

Die Kooperativenvereinigung "Mondragón Corporación Cooperativa" MCC (vgl. Wikipedia Artikel und eigene Internetseite der MCC, mit Verweisen zur Genossenschaftsbewegung und auf eigene Literatur) ist die weltgrößte Genossenschaft. Sie hat ihren Sitz in Mondragón im spanischen Baskenland und ist global tätig. Zur MCC gehören Unternehmen verschiedener Sektoren wie Maschinenbau, Automobilindustrie, Haushaltsgeräte, Bauindustrie, Einzelhandel (Supermarktketten), Banken und Versicherungen. Insgesamt gehören weltweit - Brasilien, Mexiko, China, Indien etc. - aktuell 260 Unternehmen und Einrichtungen zu der Kooperativenvereinigung, von denen rund die Hälfte keine Genossenschaften sind.

Von den 103.371 Personen, welche die Corporation Mondragón zum Abschluss des Geschäftsjahres 2007 in ihren Kooperativen beschäftigte, führten 38.335 ihre Tätigkeit in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (CAV) aus und 4.848 in der Provinz Navarra. Die MCC sorgte 2007 für 3,9 Prozent der gesamten Beschäftigung in der CAV und für 9,1 Prozent der Beschäftigung in der Industrie. Im Jahr 2008, das mit seiner Finanz- und Wirtschaftskrise Spanien heftig getroffen hat - Zusammenbruch des Immobilienmarks in Spanien, abrupter Einbruch des Konsums und ebensolcher Einbruch in das produktive System im letzten Quartal -, hat die Kooperativenvereinigung MCC Umsätze in einem Gesamtumfang von etwa 16,77 Milliarden Euro erzielt. Die Gesamtinvestitionen stiegen auf 1,324 Milliarden Euro an. Die operativen Gewinne (Gewinne vor Steuern) stiegen auf 1,734 Milliarden Euro an, 10 Prozent der gesamten Einnahmen.

Die MCC sieht sich nach Angaben auf ihrer Internetseite nicht explizit als Alternative zum kapitalistischen Produktionssystem. "Wir haben in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen. Wir glauben lediglich, eine menschlichere Unternehmensform entwickelt zu haben, die mehr direkte Beteiligung zuläßt. Dies ist außerdem ein Konzept, das mit den entwickeltsten und modernsten Managementmodellen übereinstimmt, die den arbeitenden Menschen immer mehr als wesentliche Aktiva und Hauptunterscheidungsmerkmal des modernen Unternehmens sehen." Die MCC verfügt über eine Gesellschaft, Prodeso, die sich der Beratung genossenschaftlicher und sozialer Projekte widmet. Sie unterstützt die Arbeit von "Mundikide", einer Organisation, die von zahlreichen pensionierten leitenden Angestellten der MCC gefördert wird und sich der Unterstützung und Subventionierung sozialer Projekte in Entwicklungsländern widmet. (Zur Geschichte und Entwicklung der MCC gibt es wie oben erwähnt eine eigene und außerdem eine internationale Literatur und Diskussion, u.a. aktuell einen Beitrag von Tonio Martin "Mondragón - Demokratisch in die Krise" in WOZ "Die Wochenzeitung" vom 19. März 2009, einen Beitrag von Helmut Höge unter blogs.taz.de vom 13.08.2008, von Hans Nerge "Auf der Suche nach der zukunftsfähigen Gesellschaft" (als pdf-datei www.geocities.com/leserforum), von Jose Mari Luzarraga Monasterio, Inazio Irizar Etxebarria und Dionisio Aranzadi Telleria "Understanding Mondragon - Globalization Process: Local Job Creation through Multi-Localization/ Facing globalization threats to community stability" mit weiteren Literaturangaben.)

The British example Rochedale (March 2012): 25 March 2012: UK Co-operatives prosper in recession - the example Rochedale



Aktualisierung 30. August 2009. Oben wurde formuliert: Es bleibt - auch heute - von Bedeutung, die Gründe und Wege, die Illusionen, Fehler und Irrtümer der Revolutionen von 1917, 1918 (und folgende in Spanien, Cuba, Chile, in China, Korea, Vietnam etc., in der sog. DDR mit ihrer Gründung im "Kalten Krieg" und 1953, in Ungarn 1956, in der CSSR, in Polen etc.) zu untersuchen und zu verstehen, die Ursachen des Scheiterns in Rußland, die Folgen des russischen Aufbruchs, die Wege andernorts und deren Zusammenhang - 2. Weltkrieg (der "Bolschewismus" als Angriffsziel und bleibender Gegner auch nach dem Krieg), nationale Befreiungsbewegungen, Entkolonialisierung etc. - zu erfassen.

In die historischen Veränderungen nach dem 2. Weltkrieg - zu deren bedeutendsten die Emanzipation und der enorme Aufschwung asiatischer Länder wie China und Indien gehören - reiht sich als eine Folge der aktuellen Weltwirtschaftskrise seit 2007/2008 die bereits "historisch" genannte Parlamentswahl in Japan vom 30. August 2009 ein. Nach dem Scheitern des japanischen Imperialismus in Asien und dem Pazifik, nach dem sich anschließenden erstaunlichen Aufstieg zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht nach den USA (welcher verbunden ist mit der politischen Vormachtstellung der Liberaldemokratischen Partei LDP) kommt es im August 2009 zu einem politischen Neuanfang.

Nach einer Meldung der Neuen Zürcher Zeitung (bzw. sda/dpa) vom 30.08.09 beginnt in Japan eine neue politische Ära. Erstmals seit über einem halben Jahrhundert kehren die Wähler der Liberaldemokratischen Partei LDP den Rücken. Die Mehrheit im mächtigen Unterhaus des Parlaments besitzt neu die Demokratische Partei DPJ. Nach Auszählung von 321 der insgesamt 480 Sitze kommt die DPJ von Yukio Hatoyama am 30. August bereits auf eine einfache Mehrheit von 241 Sitzen. Die unterlegene LDP kommt auf lediglich 55 Mandate. Der Partei- und bisherige Regierungschef Taro Aso kündigt seinen Rücktritt als Vorsitzender der LDP an.

Der LDP lasten die Wähler jahrelanges Mißmanagement, wirtschaftliche Stagnation und einen schweren Rentenskandal an. Hatoyama verspricht, daß die DPJ die von "Bürokraten geführte unverantwortliche Politik" der LDP-Ära beenden werde. Die 1998 gegründete Partei DPJ stellt ein Sammelbecken aus LDP-Überläufern, Sozialdemokraten und früheren Gewerkschaftern dar. Sie will vor allem denen helfen, die am stärksten von der Krise betroffen sind: Familien mit Kindern, Rentnern, Arbeitslosen und den Bauern. So will sie z.B. das Kindergeld erhöhen, die Gebühren für höhere Schulen und Autobahnen abschaffen, Bauern ein Mindesteinkommen geben und eine Mindestrente einführen. Das teure Ausgabenprogramm der Demokraten wirft allerdings die Frage der Finanzierung auf, zumal Japan mit fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die höchste Staatsverschuldung aller Industrieländer hat.





Literaturhinweise: Wikipedia-Artikel Oktoberrevolution und Novemberrevolution, dort angegebene Verweise auf weitere Wikipedia-Artikel, dort angegebene ausführliche Literaturangaben: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Lenin Werke, Rosa Luxemburg Werke etc., Wikipedia-Artikel zu einzelnen Ländern und dort gegebene Verweise.









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